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Begleitet von Gesundheitsprofis

05. April 2022 · ·

Der alte Mensch und Gesundheitsprofis: Da befinden wir uns auf dem berühmten, von mancherlei Unebenheiten durchsetzten weiten Feld. Die Spielarten der Begegnungen ändern sich, je nachdem, ob Sie als «Oldie» mit Ihrem Physiotherapeuten, einer Pflegefachfrau, Ihrer Hausärztin oder einem Chefarzt in Kontakt sind – weitere Konstellationen bitte ergänzen. Eine Leitlinie jedoch ist zielführend – und wird oft zu wenig beachtet. Es geht um respektvolle Wahrnehmung des alten Patienten, der vom Alter gebeugten Patientin.

 

In einem afrikanischen Stamm soll sich die Begrüssung nicht auf den Tageslauf beziehen. Die Grussformel lautet «Ich sehe dich». Ich sehe dich, ich nehme dich wahr. Dieser vielleicht kurze Moment ist wichtig und kann unter Umständen Auswirkungen haben auf eine Diagnose, auf einen Heilungsprozess.

 

Die gute Kommunikation zwischen alten Menschen und dem Gesundheitsprofi beginnt nicht selten bei der Akustik. Die freundliche Frage «spreche ich laut genug, können Sie mich gut verstehen?» kann klärend und erleichternd wirken. Der alte Mensch konnte beispielsweise mit dem norddeutschen Sprachtempo und der eher verhaltenen Lautstärke nicht klarkommen. Alter Mensch, was nun? Er fragt nicht nach, weil er nicht als senile, begriffsstutzige Dumpfbacke gesehen werden möchte.

 

Ein ebenfalls nicht unwichtiges Thema heisst «Motivation». Sagt ein Spitalarzt zur alten Patientin: «Sie gehen immer einen Schritt voran und dann wieder zwei Schritte rückwärts» ist diese Formulierung nicht nur von Motivation weit entfernt, sondern erzeugt ein Schuldgefühl: «Was mache ich bloss falsch, dass ärztliches Bemühen derart erfolglos bleibt?». Der im nächsten Jahrzehnt alt werdende Mensch hat hoffentlich ein stabileres Selbstverständnis – viele heute «Alte» haben ein autoritätshöriges Bedürfnis, alles «recht» zu machen.

 

Es dürfte Pflegeprofis auf verschiedenen Ebenen der beruflichen Ethik nicht zuwiderlaufen, wenn sie den alten Menschen stärker motivieren als demoralisieren. «Die nächsten Schritte, die Sie und ich gemeinsam gehen, sind ……..» Das hat nichts mit Beschönigung oder einem Mangel an beruflicher Redlichkeit zu tun. Es ginge um ein gemeinsames Projekt. Psychologische Trickserei? Nein, eher um ein verantwortungsbewusstes «Ich sehe Dich»-Signal – mit Heilungspotenzial.

 

«Ich kann verstehen, dass es Sie Kraft kostet, geduldig zu sein», sagte ein junger Pflegefachmann zu einer alten Patientin. «Wissen Sie, alle Heilungsprozesse brauchen ziemlich viel Zeit, wenn der Mensch die 60 hinter sich gelassen hat». Dieser junge Mann scheint beruflich gut unterwegs zu sein.

 

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Meta Zweifel, Jahrgang 1933, schreibt als freie Journalistin für verschiedene Gesundheitsmagazine. Die ehemalige DRS-Moderatorin und Chefredaktorin der Fachzeitschrift Drogistenstern ist unter anderem Mitglied im Seniorenrat Münchenstein und moderiert regelmässig die Veranstaltungsreihe ALTERNATIVEN in der Universitären Altersmedizin FELIX PLATTER. In lockerer Folge widmet sie sich im FELIX PLATTER-Blog Gesundheitsfragen im Alter.    

Meta Zweifel