
Sarkopenie im Blick: Ernährung als Schlüssel zur Muskelgesundheit im Alter
Muskelabbau im Alter ist ein häufiges Problem, wird jedoch häufig übersehen. Dabei lässt sich die sogenannte Sarkopenie heute frühzeitig diagnostizieren und gezielt behandeln. Gleichzeitig setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass Ernährung im höheren Lebensalter weit mehr ist als reine Vorsorge: Sie ist ein wirksames therapeutisches Instrument mit nachweisbarem Einfluss auf Muskelmasse, Sturzrisiko und die Lebensqualität.
An dieser Schnittstelle von Geriatrie, Radiologie und Forschung arbeitet PD Dr. med. Andreas M. Fischer an der Universitären Altersmedizin FELIX PLATTER in Basel an praxisnahen Lösungen – und verfolgt das Ziel, Ernährung als neuen Vitalwert in der Medizin zu etablieren.
Herr Fischer, Ihr Forschungsschwerpunkt ist u.a. Ernährung im Alter. Wie gross ist die Rolle der Ernährung beim gesunden Altern tatsächlich?
AMFischer: Die Bedeutung der Ernährung für das gesunde Altern kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Im klinischen Alltag beobachten wir häufig, wie essenziell die richtige Ernährung für ältere Menschen ist. Eine massgeschneiderte Herangehensweise ist unerlässlich.
Darüber kann eine gesunde Ernährung dazu beitragen, viele altersbedingte Erkrankungen zu verhindern oder zumindest Krankheiten hinauszuzögern.
Wird heute der Prävention mehr Bedeutung zugemessen? Ist dies auch in der Forschung sichtbar?
AMFischer: Obwohl die zunehmende Anerkennung der Prävention in Gesellschaft und Medizin deutlich sichtbar ist, schreiten die Fortschritte bislang zwar noch langsam voran – doch die Richtung stimmt. Das Interesse als wertvolle Voraussetzung zur präventiven Ernährung nimmt bei älteren Menschen zu. Diese Entwicklung ist auch in der Forschung sichtbar, wo immer mehr Studien den Zusammenhang zwischen Ernährungsgewohnheiten, Lebensstil und gesundem Altern hervorheben.
Welche Rolle spielt die Genetik beim älter werden?
AMFischer: Zwar spielt die Genetik beim Älterwerden eine Rolle, doch ihre Bedeutung wurde in den letzten Jahren deutlich relativiert. Heute wissen wir, dass durch präventive Massnahmen wie gesunde Ernährung und Bewegung der Einfluss auf den Alterungsprozess wesentlich gesteigert werden kann. Hier setzen die sogenannten epigenetischen Uhren als diagnostisches Instrument an: Sie ermöglichen es, epigenetische Alterung zu messen und zu beobachten, wie positive Lebensstilfaktoren, insbesondere ein gesunder Lebensstil, epigenetisch sichtbar werden.
2024 haben Sie eine Studie veröffentlicht und gezeigt, wie mit einfachen Messinstrumenten die Identifizierung der Sarkopenie möglich ist. Um was ging es da genau?
AMFischer: Unser Ziel war es, eine anwendungsfreundliche und praktikable Ersatzmethode ohne aufwendige Technik anzubieten.
Unsere Ergebnisse untermauern die Annahme, dass der Wadenumfang ein sinnvolles Surrogat für die Gesamtkörpermuskelmasse darstellen kann. Vor allem im Zusammenhang mit weiteren klinischen Merkmalen, etwa der Tatsache, dass ein niedriger Wadenumfang bei älteren Menschen mit erhöhter Morbidität, Mortalität und einer erhöhten Sturzhäufigkeit assoziiert ist, erweist sich diese Methode als eine verhältnismässig gute Möglichkeit, die Muskelmasse im ambulanten Setting einzuschätzen.
Welche Rolle spielt die Ernährung bei der Behandlung der Sarkopenie? Wie stark sollen Hausärzte die Ernährung bei der Behandlung einbauen?
AMFischer: Die Behandlung und Prävention der Sarkopenie basiert auf zwei wesentlichen Säulen: Bewegung und Ernährung. Besonders eine proteinreiche, abwechslungsreiche Ernährung in Kombination mit regelmässiger körperlicher Aktivität sind die wichtigsten „Geschwisterpaare“ im Therapie- und Präventionsansatz.
Hausärzte spielen in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Sie sind die wichtigsten Verbündeten im Einsatz gegen die Sarkopenie, da sie am besten in der Lage sind, Veränderungen im Leistungsniveau, Muskelabbau oder funktionellen Beeinträchtigungen zu erkennen.
Welche Rolle spielt die Bewegung und das gezielte Muskeltraining im Alter?
AMFischer: Eine weitere wichtige Grundlage für die Erhaltung der Muskelkraft und Funktion im Alter ist Bewegung. Besonders Kraft- und Ausdauertraining bilden die stabile Basis, um den altersbedingten Muskelabbau zu verlangsamen. Doch um das Sturzrisiko deutlich zu reduzieren, sind gezielte Gleichgewichts- und Koordinationsübungen wie Tanzen, Tai Chi oder Treppensteigen besonders wirksam.
Wie nutzen Sie KI in Ihren Forschungen? Sehen Sie da Potenzial? Stichwort: Foodscanner und Deep Learning.
AMFischer: Ein wesentlicher Schwerpunkt meiner laufenden Forschungsarbeit liegt auf der bildgebungsbasierten Merkmalsanalyse durch KI, um relevante Muster im Bildmaterial - beispielsweise sarkopener Erkrankten - mit klinischen Daten zu korrelieren. Ziel ist es, dadurch frühzeitig Erkrankungen zu erkennen und präventiv intervenieren zu können, was angesichts des demografischen Wandels einen erheblichen Mehrwert bietet.
Ein weiteres Beispiel für den praktischen Einsatz von KI ist unser Foodscanner, bei dem ein KI-Algorithmus die Mahlzeiten der Patientinnen und Patienten analysiert. Dabei betrachten wir die Nahrungsaufnahme im Akutspital zunehmend als einen neuen Vitalwert, der – ähnlich wie Blutdruck, Puls oder Körpertemperatur – wichtige Hinweise auf den Ernährungszustand und die Gesundheit der Patientinnen und Patienten gibt.
Insgesamt sehe ich darin ein grosses Potenzial, KI-Technologien in der klinischen Praxis einzusetzen, um individuelle Risiken früher zu erkennen, personalisierte Präventionsmassnahmen zu entwickeln und so die Versorgungsqualität und vor allem die Lebensqualität deutlich zu verbessern.