Porträt des Basler Demenz-Delir-Programms: «Wir haben mit unseren Erfahrungen die ganze Schweiz inspiriert»
Dr. phil. Wolfgang Hasemann ist Leiter des Basler Demenz Delir-Programm und blickt auf 20-jährige Praxisentwicklungs- und Forschungstradition zurück. Im Gespräch erklärt er, warum sein Programm die ganze Schweiz inspiriert hat und was seine Zukunftsvision davon ist.
Was ist das Basler Demenz-Delir-Programm?
Das Basler Demenz-Delir-Programm ist aus einem ursprünglichen Projekt zwischen der Universität Basel und dem Universitätsspital Basel entstanden. Es war das erste Praxisentwicklungsprojekt des Instituts für Pflegewissenschaft. Ziel war es, Delirien, die früher oft als akute Verwirrtheitszustände beschrieben wurden, besser zu erkennen und frühzeitiger zu behandeln. Ich habe eine Projektgruppe zusammengestellt, bei der verschiedene Disziplinen, wie zum Beispiel die Orthopädie und die Akutgeriatrie des Universitätsspitals aber auch verschiedene Berufsgruppen wie Ärzte und Pflegende vertreten waren.
Als Pioniere in der Schweiz haben wir umfangreiche internationale Erfahrungen aus den Niederlanden, Belgien und den USA eingeholt und in unser Programm integriert. Dabei haben wir gesehen, dass wir durch präventive Massnahmen, sowie dem frühzeitigen Erkennen und Reagieren auf Delirien nicht nur die Patientenergebnisse signifikant verbesserten, sondern auch die Pflegearbeit erheblich erleichtern konnten. Mittlerweile blicken wir auf eine 20-jährige Tradition zurück und haben mit unseren Erfahrungen die ganze Schweiz inspiriert. Unsere Erkenntnisse haben wir grosszügig geteilt, sodass viele Spitäler, darunter das Universitätsspital Zürich und Bern, Teile von unseren Entwicklungen übernommen und dann für ihre Häuser angepasst haben.
Welche Rolle spielen Advanced Practice Nurses (APNs) im Delir-Management?
APNs, oder Advanced Practice Nurses, sind hochqualifizierte Pflegefachkräfte, die dank ihrer akademischen Ausbildung auf Masterlevel in der Lage sind, evidenzbasierte Programme zu entwickeln und kritisch wissenschaftliche Studien zu interpretieren. In meiner Funktion als APN habe ich als Teil des interprofessionellen geriatrischen Konzildienstes vorab Assessments durchgeführt und meine Befunde mit geriatrischen Oberärzten diskutiert, um gemeinsame Behandlungs- und Betreuungsempfehlungen zu formulieren.
Was sind die neusten Erkenntnisse aus der Forschung?
Im Rahmen des Basler Demenz-Delir-Programms haben wir bedeutende Fortschritte in der Forschung gemacht. Einer der Schwerpunkte war die Entwicklung der „Modified Confusion Assessment Method for the Emergency Department“, einer Delir-Erkennungsskala, die speziell für das Notfallzentrum konzipiert wurde. Diese Skala ermöglicht es, umfangreiche kognitive Assessments um 80% zu reduzieren, indem sie einen einfachen, 30 Sekunden dauernden Kognitionstest, vorschaltet. Dieser Test hilft uns zu entscheiden, ob ein Patient bereits mit einem Delir eintritt.
Darüber hinaus konnten wir nachweisen, dass unser Programm effektiv dazu beiträgt, den Verlauf eines Delirs zu verkürzen und dessen Intensität zu mindern, wenn frühzeitig entsprechende Massnahmen ergriffen werden. Diese Ergebnisse bestätigen, dass Patienten deutlich von einer frühzeitigen Intervention profitieren.
Basler Demenz-Delir-Programm goes Felix Platter. Wie sah das konkret aus?
Die Integration des Basler Demenz-Delir-Programms in die UAFP markierte einen bedeutenden Meilenstein. Nach 16 Jahren innovativer Arbeit im Bereich Delir-Management am Universitätsspital konnten wir endlich Ansätze umsetzen, die zuvor in der Praxis nicht oder nur teilweise realisierbar waren. Dies führte zur Schaffung der DelirUnit, einer spezialisierten Einheit für Patientinnen und Patienten mit einem Delir, die einen erhöhten Betreuungsaufwand benötigen. Das spezielle Setting ermöglicht uns, ohne Sitzwachen auszukommen. Unser Schwerpunkt liegt auf einer multikomponenten Behandlung, bestehend aus Ursachenbehandlung und spezifischen, überwiegend nicht-pharmakologischen Massnahmen. Die DelirUnit wird akutgeriatrisch geführt und ist einzigartig in der Schweiz.
Die Besonderheit der Universitären Altersmedizin FELIX PLATTER, sowohl Tagesklinik, Rehabilitation, akute Neurologie, Altersmedizin als auch Alterspsychiatrie unter einem Dach zu vereinen, bietet ideale Voraussetzungen, um solch eine Station erfolgreich zu führen. Die Herausforderungen in der DelirUnit bleiben jedoch bestehen, vor allem aufgrund der hohen Nachfrage. Aktuell wird das Konzept der Multidisziplinäre Intensiv-Betreuungsstation (MIBS) erstellt, durch das sowohl eine spezifischer Nachsorge, als auch die Betreuung und Behandlung von betreuungsintensiven neurologischen Patientinnen oder Patienten in der Rehabilitation mit erhöhtem Betreuungsaufwand möglich sein wird.
Welche Zukunftsvisionen gibt es für das Basler Demenz-Delir-Programm?
Ein wesentliches Ziel für die Zukunft des Basler Demenz-Delir-Programms ist die Entwicklung einer strukturierten Nachsorge für Delir-Patienten und deren Angehörige. Die traumatischen Erlebnisse während eines Delirs haben oft nachhaltige Auswirkungen, weshalb eine solche Nachsorge ein logischer und notwendiger Schritt ist.
Zudem besteht dringender Handlungsbedarf in der Verbesserung der medizinischen, therapeutischen und pflegerischen Ausbildung zum Thema Delir. Die aktuelle Lehre behandelt das Thema oft zu oberflächlich. Eine intensivere Integration von Evidenz und praktischem Management in die Ausbildung ist erforderlich, um die Patientenversorgung nachhaltig zu verbessern und die Behandlungsqualität zu steigern.