
Spezialsprechstunde Demenz und Zukunft in der Alterspsychiatrie
Frau Dr. Schneider-Häner, seit wann arbeiten Sie im FELIX PLATTER und wie hat sich Ihr Schwerpunkt entwickelt?
Dr. med. Hannah Schneider-Häner: Ich bin Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, seit 2023 habe ich meinen Schwerpunkt in Alterspsychiatrie und -psychotherapie. In der Universitären Altersmedizin FELIX PLATTER bin ich als Leitende Ärztin in der Alterspsychiatrie tätig. Meine Arbeit konzentriert sich auf die Betreuung von Menschen mit psychischen Symptomen im Zusammenhang mit Demenz, sowohl auf der geschützten Alterspsychiatrischen Station als auch in der Frühdiagnostik in der Memory Clinic. Zudem betreue ich Patientinnen und Patienten im Rahmen des Konsiliardienstes und führe eine Spezialsprechstunde für Menschen mit psychiatrischen Symptomen bei Demenz (BPSD) ein.
Wie kam es zur Idee dieser Spezialsprechstunde?
In der Memory Clinic haben wir festgestellt, dass psychiatrische Symptome oft schon sehr früh im Verlauf einer Demenz auftreten, nicht erst in fortgeschrittenen Stadien. Dazu gehören Ängste, depressive Verstimmungen, Reizbarkeit, Schlafstörungen und sogar wahnhaftes Erleben. Diese Symptome können nicht nur die Lebensqualität stark beeinträchtigen, sondern auch zu einem beschleunigten kognitiven Abbau und vermehrten Hospitalisationen und auch verfrühten Heimeintritten führen.
Viele dieser Menschen haben noch keine alterspsychiatrische Ansprechperson oder müssen lange auf Termine warten. Wir möchten ihnen mit der Spezialsprechstunde ermöglichen, rasch und professionell Hilfe zu erhalten – um Selbstständigkeit, Lebensqualität und Lebensfreude möglichst lange zu erhalten.
Je nach Situation kann ein einmaliger Termin ausreichen, um eine Orientierung zu geben. Häufig begleiten wir die Patientinnen und Patienten aber auch über mehrere Wochen oder Monate, bis sich die Situation stabilisiert hat oder eine geeignete Weiterversorgung etabliert ist.
An wen richtet sich die Sprechstunde konkret?
Die Sprechstunde richtet sich an Menschen mit Demenz in allen Stadien, unabhängig davon, ob sie bereits bei uns in Behandlung sind oder nicht. Wir sehen besonders häufig Menschen, bei denen kürzlich eine Demenzdiagnose gestellt wurde und die nun mit ersten psychiatrischen oder Verhaltenssymptomen konfrontiert sind. Diese Symptome können sehr belastend für die Betroffenen und ihre Angehörigen sein. Unsere Sprechstunde ist niederschwellig: Die Betroffenen können sich direkt bei uns vorstellen. Wir hören zu, ordnen gemeinsam die Situation und planen die nächsten Schritte. Ziel ist es, den Alltag zu stabilisieren und Angehörige zu entlasten.
Uns ist auch wichtig, aufzuklären: Solche Symptome gehören häufig zum Krankheitsbild und dürfen offen angesprochen werden – je früher, desto besser.
Unsere Patientinnen und Patienten sind sehr dankbar für diese Möglichkeit, mit uns darüber zu sprechen.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Hausärztinnen und Hausärzten?
Die Zuweisung erfolgt in der Regel über die Hausärztin oder den Hausarzt, der das Anmeldeformular «Alterspsychiatrische Spezialsprechstunde für Menschen mit neurokognitiven Störungen» auf unserer Webseite ausfüllt. Auch eine nachträgliche Zuweisung ist möglich, wenn es ein Fall ist, der rasch gesehen werden muss. Die Zusammenarbeit ist uns sehr wichtig, da sie es uns ermöglicht, die Patientinnen und Patienten ganzheitlich zu betreuen. Wir tauschen uns regelmässig aus, verfassen Berichte und stimmen uns über die weiteren Behandlungsschritte ab. Diese enge Zusammenarbeit trägt dazu bei, dass wir den Patienten bzw. die Patientin optimal versorgen können.
Welche Themen oder Beschwerden können in der Sprechstunde besprochen werden?
In der Sprechstunde behandeln wir nicht nur akute Symptome wie wahnhaftes Erleben, aggressive Impulse oder Agitation, sondern auch häufigere Beschwerden wie Ängste, depressive Verstimmungen, Schlafstörungen und Unruhe. Viele Patientinnen und Patienten kommen nach der Diagnosestellung, wenn sie unsicher sind, wie sie mit den Veränderungen umgehen sollen. Ziel ist es, diese Symptome zu lindern und den Patientinnen und Patienten sowie ihren Angehörigen zu helfen, besser mit der Situation zurechtzukommen. Wir bieten Patientinnen und Patienten, die eine Demenzdiagnose erhalten haben, auch an, sie regelmässig zu sehen in der Sprechstunde, um den Verlauf und die Medikamente zu prüfen.
Welche Rolle spielt die medikamentöse Behandlung?
Zunächst schauen wir, ob alle nicht-medikamentöse Massnahmen wie eine feste Tagesstruktur, Aufbau angenehmer Aktivitäten, Umgebungsanpassung, regelmässige Bewegung und eine gute Schlafhygiene ausgeschöpft worden sind. Wenn Medikamente notwendig werden, gehen wir sehr vorsichtig vor – „start low, go slow“ ist unser Ansatz. Kleine Dosisanpassungen können bereits grosse Effekte haben. Wir überprüfen auch, ob die Patientinnen und Patienten Medikamente einnehmen, die das Gedächtnis beeinträchtigen, und empfehlen gegebenenfalls eine Umstellung. In der Alterspsychiatrie haben wir eine umfassende Expertise in der Pharmakotherapie, die wir gezielt einsetzen. Psychotherapie im klassischen Sinn bieten wir in der Sprechstunde nicht an, jedoch führen wir stützende und strukturierende Gespräche, die den Patientinnen und Patienten helfen, besser mit ihrer Situation umzugehen.
Wie sehen Sie die Zukunft in diesem Bereich?
Es ist uns wichtig, dass wir zu diesem Bereich auch weiter forschen können, wieso diese psychischen und Verhaltenssymptome im Rahmen der Demenz entstehen. Es ist auch wichtig, dass Forschung und Klinik eng zusammenarbeiten, damit die neuesten Erkenntnisse rasch den Patientinnen und Patienten zugutekommen. Wir stehen auch an einem Wendepunkt, da es bald möglich sein wird, mit den neuen Amyloidtherapien gezielt in Krankheitsmechanismen einzugreifen. Wir warten hier noch auf die Zulassung des Medikaments in der Schweiz. Zudem benötigt es ein weiter abgestuftes und differenziertes Angebot für Menschen mit einer leichten bis schweren Demenz. Also beginnend bei der Frühdiagnostik in der Memory Clinic, hin zu offenen und geschützten Stationen und einem Ausbau der ambulanten Sprechstunde.
Was ist Ihnen in Ihrer Arbeit besonders wichtig?
In der Alterspsychiatrie liegt unser Fokus auf der kontinuierlichen, differenzierten Begleitung von Menschen mit Demenz – von der Frühdiagnose bis hin zu den späteren, oft herausfordernden Phasen. Es ist uns ein grosses Anliegen, den Patientinnen und Patienten sowie ihren Angehörigen durch stabile Betreuung und individuelle Lösungen Lebensqualität zu erhalten. Ebenso wichtig ist uns die enge Zusammenarbeit mit Hausärztinnen und Hausärzten, um gemeinsam die bestmögliche Betreuung sicherzustellen. Wir wollen, dass Menschen mit Demenz die Unterstützung bekommen, die sie brauchen, um so lange wie möglich ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Zwei Fallbeispiele aus der Sprechstunde, die den Nutzen verdeutlichen:
Fallbeispiel 1: Offener Umgang mit der Diagnose und Wiedergewinn von Lebensqualität
Herr K., 72, erhielt die Diagnose Alzheimer, was ihn zunächst sehr belastete. Er fühlte sich wertlos, zog sich zurück und mied Aktivitäten, die ihm früher Freude bereiteten, wie das wöchentliche Kartenspielen. Nach einer medikamentösen Behandlung und der Unterstützung seines Umfelds fand er schrittweise wieder zu Stabilität. Heute spielt er wieder Karten, fährt selbstständig mit der Bahn, hilft im Haushalt und geniesst die Zeit mit seinen Enkeln.Fallbeispiel 2: Reduktion von Unruhe und Wiedergewinn von Mobilität
Herr B., 68, mit Alzheimer, litt unter starker Unruhe und einer deutlichen Weglauftendenz. Durch eine Anpassung seiner Medikation, eine klare Tagesstruktur und Entspannungsangebote konnte sich seine Symptomatik deutlich stabilisieren. Heute ist er ausgeglichen, unternehmungslustig und reist mit seiner Frau, zuletzt in die Türkei und bald nach Asien.
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Dr. med. Hannah Schneider-Häner ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit Schwerpunkt in Alterspsychiatrie und -psychotherapie. In der UAFP ist sie als Leitende Ärztin in der Alterspsychiatrie tätig.