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wo beginnt Alzheimer

In den tiefen Schichten des Gehirns – wo genau beginnt Alzheimer?

13. May 2025 · ·

Eine aktuelle experimentelle Studie liefert erstmals überraschende Erkenntnisse darüber, wo genau im Gehirn die Alzheimer-Krankheit entsteht. Demnach beginnen Alzheimer-typische Veränderungen tief in der Hirnrinde. Diese Erkenntnisse könnten nun neue therapeutische Ansätze ermöglichen.

«Wir konnten zeigen, dass Alzheimer-assoziierte Störungen von Nervenzellen nicht, wie bisher angenommen, in den oberflächlichen, sondern zuerst in den tiefen Schichten (Schichten 5 und 6) der Grosshirnrinde auftreten», erklärt Prof. Dr. Dr. med. Marc Aurel Busche, zukünftiger Chefarzt der UAFP und designierter Professor für demenzielle Erkrankungen der Universität Basel. 

 Wichtigkeit der tiefen Schichten des Grosshirns

Die Grosshirnrinde besteht aus insgesamt sechs Schichten. Den tieferen Schichten, Schichten 5 und 6, der Grosshirnrinde kommt dabei eine bislang unterschätzte Bedeutung zu. «Gerade diese tiefen Schichten spielen eine Schlüsselrolle für die Kommunikation zwischen verschiedenen Hirnregionen sowie zwischen der Hirnrinde und tieferliegenden Netzwerken», führt Busche, Psychiater und Neurowissenschaftler weiter aus. Dies könne ein möglicher Grund dafür sein, warum erste Veränderungen im Denken und Verhalten bei Alzheimer oft wenig bemerkbar und manchmal subtil sind. So etwa wenn bei Personen eine leichte Überforderung in komplexen Alltagssituationen oder Schwierigkeiten beim Erfassen komplexer Zusammenhänge auftreten oder aber auch bei der Planung und Ausführung alltäglicher Aufgaben.

 Neue Erkenntnisse – inhibitorische Nervenzellen eher betroffen

Besonders interessant ist, dass nicht alle Zellen gleichermassen betroffen sind. Auffällig betroffen sind sogenannte inhibitorische (parvalbuminhaltige) Nervenzellen, die für eine fein abgestimmte Balance zwischen Erregung und Hemmung im Gehirn sorgen. «Bisherige Modelle gingen davon aus, dass zunächst erregende Nervenzellen beeinträchtigt werden. Die aktuelle Studie korrigiert dieses Bild grundlegend», erklärt Busche.

 Die Funktion des Eiweisses NPTX2

Zudem konnte ein zentraler molekularer Mechanismus hinter diesen Veränderungen identifiziert werden: Ein Verlust des Eiweisses NPTX2 in den tiefen Schichten der Grosshirnrinde. NPTX2 ist ein wichtiges Protein, das die Bildung von erregenden Synapsen auf inhibitorische (parvalbuminhaltige) Nervenzellen reguliert und damit deren normale Funktion aufrechterhält. Bereits in früheren Studien wurde gezeigt, dass verringerte NPTX2-Werte im Blut oder Nervenwasser von Alzheimer-Patienten auftreten und mit kognitiven Beeinträchtigungen korrelieren sowie eine Alzheimer-Erkrankung frühzeitig vorhersagen könne. Diese aktuelle Studie liefert nun erstmals eine Erklärung auf der Ebene einzelner Nervenzellen dafür, warum diese niedrigen Werte auftreten und warum sie für Patientinnen und Patienten klinisch bedeutsam sind. «Denn der Verlust von NPTX2 beeinträchtigt gezielt die Funktion hemmender Nervenzellen in tiefen Hirnschichten», erklärt Busche.

Studienerkenntnisse eröffnet nun neue therapeutische Ansätze

Erstmals konnte in dieser Studie dargelegt werden, dass sich durch eine gezielte Gentherapie normale NPTX2-Werte wiederherstellen lassen. Dadurch erhöhte sich nicht nur die Zahl der Synapsen an hemmenden Nervenzellen, sondern auch deren Funktion verbesserte sich deutlich.« Dies eröffnet völlig neue therapeutische Ansätze, die wir aktuell in weiterführenden Studien, u.a. auch an der Universitären Altersmedizin FELIX PLATTER intensiv testen werden», führt Busche aus. Die betroffenen (parvalbuminhaltigen) Nervenzellen und das Protein NPTX2 sind nicht nur für Alzheimer relevant, sondern spielen auch bei anderen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen wie Schizophrenie, Epilepsie oder Autismus eine wichtige Rolle. Diese neuen Erkenntnisse könnten daher auch über die Alzheimer-Erkrankung hinaus klinische Bedeutung gewinnen.

 «Unsere Ergebnisse liefern zudem erste Hinweise darauf, dass Unterschiede in der Wirksamkeit bereits bestehender Alzheimer-Medikamente, insbesondere bestimmter Anti-Amyloid Antikörper, möglicherweise damit zusammenhängen, ob diese gezielt in den tieferen Hirnschichten wirken, die wir jetzt als besonders früh und stark betroffen identifiziert haben. Diese spannende Hypothese prüfen wir derzeit in weiterführenden Studien», erklärt Busche.

Damit eröffnet sich eine vielversprechende neue Perspektive in der Alzheimer-Forschung: Früherkennung und gezielte Therapie genau dort, wo Alzheimer entsteht, in den tiefen Schichten des Gehirns.

Die Studie mit dem Titel «Selectively vulnerable deep cortical layer 5/6 fast-spiking interneurons in Alzheimer’s disease models in vivo» ist in der Fachzeitschrift Neuron erschienen und unter diesem Link abrufbar.