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Die verborgene Kraft der Omega-3-Fettsäuren

Ernährung und Künstliche Intelligenz: Innovative Wege zur Frühdiagnose und Prävention von Sarkopenie

21. May 2025 · ·

Muskelabbau im Alter ist ein weit verbreitetes Problem, das oft erst spät erkannt wird. Heute gibt es jedoch nicht nur neue Methoden zur frühzeitigen Diagnose von Sarkopenie, sondern auch gezielte Behandlungsmöglichkeiten – etwa durch einfache Messungen wie den Wadenumfang und durch fortschrittliche KI-gestützte Bildanalyse. Gleichzeitig wächst das Verständnis, dass Ernährung im Alter nicht nur präventiv wirkt, sondern auch als therapeutisches Mittel messbare Auswirkungen auf Muskelmasse, Sturzgefahr und Lebensqualität hat. PD Dr. med. Andreas M. Fischer, Leitender Arzt der UAFP arbeitet an praktischen Lösungen an der Schnittstelle von Geriatrie, Radiologie und Forschung – mit dem Ziel, Ernährung als neuen Vitalwert zu etablieren.

Herr Fischer, Ihr Forschungsschwerpunkt ist u.a. Ernährung im Alter. Wie gross ist die Rolle der Ernährung beim gesunden Altern tatsächlich?

Die Bedeutung der Ernährung für das gesunde Altern kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Bereits seit jeher ist die Ernährung ein massgeblicher Faktor für Gesundheit und Wohlbefinden, allerdings gewinnt sie im fortgeschrittenen Alter an noch grösserer Bedeutung. Sie bildet eine wichtige Grundlage für die Erhaltung der körperlichen und geistigen Vitalität und die Verbesserung der Lebensqualität im Alter.

Es ist ermutigend zu sehen, dass die wissenschaftliche Evidenz für die entscheidende Rolle der Ernährung immer stärker wird, untermauert durch kontinuierliche Forschungsergebnisse in diesem Bereich.

Während allgemeingültige Ernährungsempfehlungen eine gute Grundlage bieten, zeigt sich in der Praxis, dass die Bedürfnisse jeder älteren Person individuell verschieden sind. Ähnlich wie bei körperlicher Aktivität hängt auch die Umsetzung gesunder Ernährung stark von der Motivation und den persönlichen Umständen der älteren Menschen ab. Eine massgeschneiderte Herangehensweise ist daher unerlässlich.

Wird heute der Prävention mehr Bedeutung zugemessen? Ist dies auch in der Forschung sichtbar?

Obwohl die zunehmende Anerkennung der Prävention in Gesellschaft und Medizin deutlich sichtbar ist, schreiten die Fortschritte bislang zwar noch langsam voran – doch die Richtung stimmt. Erfreulicherweise beobachten wir eine klare Tendenz: Das Interesse als wertvolle Voraussetzung zur präventiven Ernährung nimmt bei älteren Menschen zu. Diese Entwicklung ist auch in der Forschung sichtbar, wo immer mehr Studien den Zusammenhang zwischen Ernährungsgewohnheiten, Lebensstil und gesundem Altern hervorheben.

Ziel dabei ist, die Prävention als freiwilliges Angebot zu gestalten. Es geht darum, Informationen zugänglich zu machen, die Motivation zu stärken und somit die Bereitschaft zu fördern, dass gesunde Ernährung als integraler Bestandteil eines ganzheitlichen, präventiven Lebensstils vom Einzelnen angenommen wird.

Welche Rolle spielt die Genetik beim älter werden?

Zwar spielt die Genetik beim Älterwerden eine Rolle, doch ihre Bedeutung wurde in den letzten Jahren deutlich relativiert. Heute wissen wir, dass durch präventive Massnahmen wie gesunde Ernährung und Bewegung der Einfluss auf den Alterungsprozess wesentlich gesteigert werden kann. Hier setzen die sogenannten epigenetischen Uhren als diagnostisches Instrument an: Sie ermöglichen es, epigenetische Alterung zu messen und zu beobachten, wie positive Lebensstilfaktoren, insbesondere ein gesunder Lebensstil, epigenetisch sichtbar werden. Dieser Fortschritt bietet den Vorteil, dass er nicht nur den Zusammenhang zwischen Lebensstil und Alterungsprozess aufzeigt, sondern auch eine personalisierte Bewertung der Wirksamkeit präventiver Strategien ermöglicht. Obwohl sich diese Thematik noch in der Anfangsphase befindet, gilt sie als äusserst vielversprechend.

2024 haben Sie eine Studie veröffentlicht und gezeigt, wie mit einfachen Messinstrumenten die Identifizierung der Sarkopenie möglich ist. Um was ging es da genau?

Sarkopenie ist ein komplexes Krankheitsbild, das nicht nur den Abbau von Muskelkraft und funktionaler Leistungsfähigkeit umfasst, sondern auch den Verlust an Muskelmasse. Die Messung der Muskelmasse gestaltet sich im klinischen Alltag allerdings äusserst herausfordernd, da entsprechende Untersuchungsmethoden meist nur in spezialisierten Zentren verfügbar sind. Unser Ziel war es daher, eine anwendungsfreundliche und praktikable Ersatzmethode anzubieten, die ohne grossen Aufwand im Praxisalltag umgesetzt werden kann.

Unsere Ergebnisse untermauern die Annahme, dass der Wadenumfang ein sinnvolles Surrogat für die Gesamtkörpermuskelmasse darstellen kann. Zwar ist die Korrelation zwischen Wadenumfang und Muskelmasse nicht perfekt, doch im Zusammenhang mit weiteren klinischen Merkmalen, etwa der Tatsache, dass ein niedriger Wadenumfang bei älteren Menschen mit erhöhter Morbidität, Mortalität und einer erhöhten Sturzhäufigkeit assoziiert ist, erweist sich diese Methode als eine verhältnismässig gute Möglichkeit, die Muskelmasse im ambulanten Setting einzuschätzen. Mit dieser Methode möchten wir alle Kolleginnen und Kollegen in der medizinischen Praxis ermutigen, sich dem nach wie vor unzureichend beachteten Krankheitsbild der Sarkopenie zuzuwenden und aktiv in die frühe Erkennung sowie Behandlung einzusteigen.

Welche Rolle spielt die Bewegung und das gezielte Muskeltraining im Alter?

Eine weitere wichtige Grundlage für die Erhaltung der Muskelkraft und Funktion im Alter ist Bewegung. Besonders Kraft- und Ausdauertraining bilden die stabile Basis, um den altersbedingten Muskelabbau zu verlangsamen. Doch um das Sturzrisiko deutlich zu reduzieren, sind gezielte Gleichgewichts- und Koordinationsübungen wie Tanzen, Tai Chi oder Treppensteigen besonders wirksam. Diese Aktivitäten verbessern Balance, Körpergefühl und Reaktionsfähigkeit, wirken als eine Art zusätzlicher Schutzschild und tragen massgeblich dazu bei, Stürze zu verhindern. 

Wie nutzen Sie KI in Ihren Forschungen? Sehen Sie da Potenzial?

Während meines knapp zweijährigen Forschungsaufenthalts in den USA arbeitete ich in einer der ersten Abteilungen, die mit Convolutional Neural Networks (CNNs), einer Art Deep-Learning-Architektur speziell für die Analyse bildgebender Verfahren, in der medizinischen Bildgebung geforscht haben. Dabei haben wir bildmerkmalsgestützte Analysen mit klassischen klinischen Daten verglichen, um die Aussagekraft und die Aussagefähigkeit der KI-gestützten Muster zu evaluieren. Ein wesentlicher Schwerpunkt meiner laufenden Forschungsarbeit liegt weiterhin auf der bildgebungsbasierten Merkmalsanalyse durch KI, um relevante Muster im Bildmaterial - beispielsweise sarkopener Erkrankten - mit klinischen Daten zu korrelieren. Ziel ist es, dadurch frühzeitig Erkrankungen zu erkennen und präventiv intervenieren zu können, was angesichts des demografischen Wandels einen erheblichen Mehrwert bietet. Hierbei nutzen wir bereits vorhandene CT-Aufnahmen, die im Rahmen anderer klinischer Fragestellungen erhoben wurden. Das bedeutet, wir generieren keine neuen Bilder, sondern „recyclen“ bestehende Daten, was im Sinne der Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung einen grossen Vorteil darstellt. Dieser Ansatz wird auch im Feld der „Radiomics“ angewandt, das sich mit der quantitativen Auswertung medizinischer Bilddaten befasst, um verborgene Muster und Zusammenhänge zu identifizieren, die klinisch relevante Informationen enthalten.

Ein weiteres Beispiel für den praktischen Einsatz von KI ist unser FoodScanner, bei dem ein KI-Algorithmus die Mahlzeiten der Patientinnen und Patienten analysiert. Er quantifiziert die Menge der drei Hauptmahlzeiten am Tag und liefert eine Rückmeldung sowie eine Einschätzung des Handlungsbedarfs. Dabei betrachten wir die Nahrungsaufnahme im Akutspital zunehmend als einen neuen Vitalwert – ähnlich wie Blutdruck, Puls, SpO2 oder Körpertemperatur – der wichtige Hinweise auf den Ernährungszustand und die Gesundheit der Patientinnen und Patienten gibt. Insgesamt sehe ich darin ein grosses Potenzial, KI-Technologien in der klinischen Praxis einzusetzen, um individuelle Risiken früher zu erkennen, personalisierte Präventionsmassnahmen zu entwickeln und so die Versorgungsqualität und vor allem die Lebensqualität deutlich zu verbessern.